Interview – Altraverse: »Gerade im August, September lagen die Umsätze auf Weihnachtsniveau« (DoKomi 2020)

Mikrofon ausgepackt, Ständer aufgebaut und Aufnahme: Überall, wo sich Menschen treffen, gibt es auch immer Leute, die Spannendes zu erzählen haben. Einige davon kriegen wir hin und wieder vor unsere Kamera, vor unseren Notizblock oder in Skype und Teamspeak gezogen.

Joachim KapsQuelle: © Jumpei Tainaka / Altraverse

Das Jahr 2020 hatte Gewinner und Verlierer. Einer der offensichtlichsten Verlierer war die hiesige Convention-Landschaft – bis auf eine besuchermäßig reduzierte DoKomi fand einfach nichts im gewohnten Maße statt. Künstler und Händler, die einen großen Teil ihres Lebensunterhalts mit Conventions erzielen, hatten auch das Nachsehen. Aber dann wird es mit den Verlierern schon schwieriger. Zwar schlossen im Frühjahr 2020 zahlreiche Geschäfte für vier Wochen, doch in der Zeit nach der angeordneten Auszeit berichteten viele Comichändler, mit denen wir gesprochen haben, von spürbaren Umsatzhochs. Dies bestätigen auch Zahlen von Media Control und der Gesellschaft für Konsumforschung für den Gesamtmarkt Buch. Wir trafen Joachim Kaps, Geschäftsführer von Altraverse, auf der DoKomi 2020, der uns half, das Jahr 2020 aus seiner Perspektive einzuordnen. Dabei wurde eins klar: Trotz all der negativen Nachrichten haben wir jeder Einzelne eine Menge lernen können.

(Bilder: © Michael Thal / Altraverse)

Anihabara.de: Kannst Du zum Einstieg grob skizzieren, welche Maßnahmen ihr gerade nach der Absage der Leipziger Buchmesse 2020 getroffen habt, um auf die Krise zu reagieren? Welche haben sich als besonders gut beziehungsweise schlecht herausgestellt haben?

Joachim Kaps: Ich glaube, das Erste, was wir gemacht haben, ist, dass wir beschlossen haben: Das Leben muss weitergehen. Insofern saßen wir zusammen und haben tatsächlich eher überlegt, was wir zusätzlich machen können, während die Conventions ausfallen. Wir haben unter anderem in der Zeit, wo Leipzip hätte stattfinden sollen, unseren Livestream gestartet, haben tatsächlich bewusst versucht, antizyklisch (Anmerkung der Redaktion: ein Verhalten, das der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entgegenwirken soll) zu reagieren – bei uns gab es zum Beispiel keine Kurzarbeit, wir haben ganz normal weitergemacht. Wir haben sogar unsere Marketingausgaben erhöht und versucht, über Social Media die Leute ein bisschen umzulenken. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Wir haben an den Verkäufen unseres Webshops zum Beispiel relativ schnell gesehen, dass viele einfach umgeswitcht sind und in der Zwischenzeit andere Kanäle genutzt haben. Zum Zweiten haben sich die Comicshops und freien Buchhandlungen enorm ins Zeug gelegt, trotzdem die Lieferbarkeit aufrecht zu erhalten – selbst in der Zeit, als geschlossen war. Es gab sehr findige Modelle. Manche haben aus der Apotheke nebenan verkauft, manche haben per Fahrrad den Leuten die Bücher nach Hause gefahren, die sie online bestellt hatten. Da gibt es eigentlich ganz viele großartige Geschichten.

Anihabara.de: Die meisten Verlage kürzen eher ihre Budgets in der Krise, statt sie zu erhöhen: Was für eine Überlegung steckt dahinter, gerade in der Krise Geld in die Hand zu nehmen? Das wirkt eigentlich kontraintuitiv, Budgets zu erhöhen, wenn die Leute zum Beispiel in Kurzarbeit stecken.

Joachim Kaps: Das halte ich eigentlich für falsch, weil ich glaube, dass gerade Lesen vielen Leuten in dieser Zeit sehr geholfen hat. Man sieht ja insgesamt, dass sich der Buchmarkt als solcher – also nicht nur Manga – deutlich besser durch die Krise geschlagen hat als bestimmte andere Bereiche. Viele Leute haben vielleicht entdeckt, wie viel Spaß so ein Buch machen kann, wenn man die ganze Zeit zu Hause ist. Mit unserer Theorie, dass die Krise eigentlich eher die Leute zurück zum Buch holt, haben wir, glaube ich, ganz gut recht behalten, denn Stand Ende September hat Manga in diesem Jahr in Deutschland ungefähr 10 Prozent zugelegt und nicht verloren. Davon haben wir jetzt überproportional profitiert. Tatsächlich ist Manga dieses Jahr stärker gewachsen als im Vorjahr. Gerade im August, September hatten wir exorbitante Zahlen in diesem Markt. Die Umsätze lagen monatlich mit Manga in Deutschland auf dem Niveau, das wir sonst im Weihnachtsgeschäft haben. Das heißt, die ganze Community ist vielleicht sogar stärker geworden und stärker auf Buch und Anime zurückgekommen. Für uns hat sich unser Vorgehen rentiert.

Anihabara.de: Woran denkst du liegt es, dass gerade Manga Cult und ihr Zuwächse trotz Corona erwirtschaften? Kannst du dir das erklären?

Joachim Kaps: Das hat sich ein bisschen relativiert. Mittlerweile ist auch Carlsen Manga wieder im Plus gegenüber dem Vorjahr. Ich glaube, man muss fairerweise auch sagen, dass die neuen Verlage es in soweit auch einfacher haben, weil a) die Strukturen beweglicher sind und Entscheidungsprozesse nicht so lange dauern. Bei uns dauert ein Entscheidungsprozess 5 Minuten, wenn er so sein muss, weil wir nicht Teil eines Konzerns sind, der komplizierte, lange Wege hat – das ist bei Manga Cult vergleichbar. Manga Cult hat dazu natürlich eine Riesenglück gehabt, dass sie »Demon Slayer« genau in dieser Zeit gestartet haben, wo eine Riesennachfrage war. Jetzt war das Schicksal zu uns gleich doppelt nett, weil auf unserer Seite »Solo Leveling« dazukam. Das hat sich halt alles addiert. Aber ich glaube auch ohne »Demon Slayer« und »Solo Leveling« wären Manga Cult und Altraverse nach den Zahlen, die ich kenne, erst mal diejenigen gewesen, die am stabilsten durch diese Zeit durchkommen. Jenseits von Manga glaube ich, dass man das auch in vielen Bereichen sieht. Sehr, sehr große Unternehmen haben sich sehr viel schwieriger getan, sich auf diese Situation einzustellen.

Anihabara.de: Thema Online-Maßnahmen: Wie effizient sind sie? In wie weit können sie das, was mit Offline-Maßnahmen nicht geht, dieses Jahr auffangen? Stellt man zum Beispiel die Anzahl an Convention-Besuchern den Aufrufen unter euren YouTube-Videos gegenüber, kann ich mir vorstellen, dass sich Schwierigkeiten ergeben.

Joachim Kaps: Das ist ganz spannend gedacht, aber greift zu kurz. Wenn wir nicht denken würden, dass Conventions auch eine große Rolle spielen, wären wir jetzt nicht hier. Wir sind der einzige Publisher, der sofort gesagt hat: »Wir wollen diesen Lernprozess mitgestalten und wollen für uns und für die Community mithelfen, zu lernen, wie so etwas wieder stattfinden kann« – und Conventions sind natürlich so tief in der DNA von Altraverse als Unternehmen verankert, das kann nicht ersetzt werden.

Die Aufrufzahlen sind aber insofern ein bisschen zu relativieren, weil nicht alle Besucher einer normalen Veranstaltung automatisch zum Altraverse-Stand kommen und nichts anderes zu tun haben, als ausgerechnet uns zu besuchen – auch wenn hier 25.000 Besucher sind oder im letzten Jahr 50.000. Bei den Online-Geschichten merken wir, das ist ein Spiel über Bande. Die Leute, die momentan in unseren Streams sind, sind ganz oft selbst wieder Influencer, die alle Infos, die wir mittlerweile in den Streams geben, über ihre Plattformen, Blogs und Instagram- sowie Twitter-Kanäle weiterverbreiten. Sogesehen glaube ich, dass die Streuwirkung dieser Aktivitäten eine andere ist, als die, die man an den reinen Klicks sieht. Wir haben immer sehr stabil diese 1.000 bis 1.500 Leute, die sich am Ende so ein Video angucken, aber wenn die alle loslaufen oder nur die Hälfte von denen und es weitererzählen, kommt man auch auf andere Kontaktzahlen. Das ist tatsächlich eher eine schöne Möglichkeit darzustellen, wie der Verlag tickt. Manche Leute haben dadurch einen tieferen Einblick in die Dinge hinter den Kulissen bekommen. Das finde ich eigentlich ganz angenehm, weil ich es immer ganz schön finde, wenn Publisher transparent sind und nicht im Verborgenen agieren.

Sogesehen wird für uns in der Zukunft das größte Learning sein, dass wir eigentlich beides machen werden. Wir werden, sobald wir wieder können, sowohl Conventions bespielen, ganz sicher aber auch die Streams weitermachen, sie vielleicht sogar ausbauen. Da wir jetzt so gut durch diese Zeit gekommen sind, können wir im Moment auch investieren. Das heißt, wir bauen das Team noch ein bisschen hoch und werden Gas geben, so gut wir können. Das ist unser Learning aus Corona.

Anihabara.de: Hätten diese Maßnahmen nicht auch unabhängig von der Krise funktioniert?

Joachim Kaps: Das ist ganz spannend, dass solche Zeiten auch positive Lerneffekte mit sich bringen. Ich glaube, wir haben alle in dieser Zeit viele Dinge privat und beruflich gelernt, die auf einmal anders gehen. Wir dachten tatsächlich früher auch: Wir müssen alle im Office sein – und zwar nicht, weil ich das so wollte, sondern weil wir alle so dachten. Man kann sich durchaus so organisieren, dass man das relativ flexibel gestaltet und trotzdem alles gut weiterläuft. Die Streams waren am Anfang ehrlich gesagt einfach nur eine Reaktion auf diesen Ausfall der Leipziger Buchmesse. Wir hatten das nicht auf dem Zettel, so was machen zu wollen. Es war ein ziemlich hartes Learning. Nach Diskussionen haben wir gesagt: Wir machen jetzt einen Stream, haben uns innerhalb von einer Woche erstmal selber die Technik für diese Aktion beigebracht und haben dann aber aus der Community dieses Feedback bekommen: Warum macht ihr so was nicht eigentlich öfter? Da versuchen wir schon immer zuzuhören. Dann haben wir erst angefangen, Skills aufzubauen – nicht unbedingt ich, sondern im Wesentlichen machen da Yentl, Julia, Schanti, Anh Tu und Johannes die technischen Sachen. Ich denke ein bisschen mit nach, was wir in den einzelnen Sendungen machen können und wen wir mal dazuholen können. Ich glaube, das ergänzt sich ganz gut.

Es kann gut sein, dass es diesen Stream überhaupt nicht geben würde, wenn es Corona nicht gegeben hätte. Dieses erste Wochenende war aus Frust gegen ein ausgefallenes Event! Eine zweite, spannende Sache: Als wir das zum Beispiel an diesem denkwürdigen Wochenende mit den Autoren gemacht haben, da hat keiner von uns daran gedacht, was für eine Katastrophe auf uns zukommt. Das Virus war zwar angekommen, aber wir hätten uns ja niemals zusammen in diesen engen Raum gesetzt, wenn wir da schon geahnt hätten, was in den nächsten Wochen auf uns zukommen würde. Völlig irre eigentlich! Aber das hat auch den Verlag und seine Autoren noch einmal enger miteinander verbunden. Die Autoren sind auch immer festes Element in unseren Streams. Sie hängen fast alle jede Woche davor, um zu gucken, was wir da erzählen. Vielleicht sehe ich einfach generell lieber halbvolle als halbleere Gläser!

Wir danken Joachim Kaps sehr herzlich für das Gespräch und Michael Thal / Altraverse für die Fotos. Dieses Interview wurde am 27. September vor Ort im Rahmen der DoKomi aufgezeichnet.

Altraverse - DoKomi 2020

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