Angezockt – »The Centennial Case: A Shijima Story« – Quirlige Detektiv-Action

Square Enix lässt es sich nicht nehmen, immer mal wieder einen Titel aus einem Nischen-Genre hervorzubringen, welcher alle überrascht. So war es auch bei der Ankündigung zu »The Centennial Case: A Shijima Story«. Wie sich das Spiel schlägt, weiß Phil Brülke.

The Centennial Case: A Shijima Story - Pack-Shot
Titel: The Centennial Case: A Shijima Story
Genre: Adventure, Full Motion Video
Publisher: Square Enix
Entwickler: h.a.n.d.
Release: 12. Mai 2022
USK: Ab 16 Jahren
UVP: 49,99 Euro

Das fast vergessene Genre der Full-Motion-Videospiele erlebte in den letzten Jahren seinen zweiten Frühling – zumindest, wenn es um die Menge der Erscheinungen geht. 2015 gelang es Sam Barlow mit »Her Story«, das Spielgenre des interaktiven Films hier im Westen einem breiteren Publikum wieder schmackhaft zu machen. Seitdem versuchen sich immer mal wieder Entwicklerstudios daran, ähnliche Erfolge zu erzielen. Dies gelang allerdings nicht immer. Nun hat ein namhafter Publisher in der Gestalt von Square Enix das Zepter an sich gerissen und versucht mit »The Centennial Case: A Shijima Story«, ein aufwändig produziertes Spiel auf den Markt zu bringen, das zeigen soll, was heutzutage alles in diesem Genre möglich ist.

 

Erst Krimiautorin, dann Detektivin

2022042701080100 sAnfangs stellt uns das Spiel die Protagonistin Haruka Kagami vor, eine berühmte Krimiautorin. Diese wird auf einer Autogrammstunde von Eiji Shijima überrascht, denn er lädt sie auf das Anwesen seiner Familie ein. Im Garten dieses Anwesens wurde nämlich eine Leiche beziehungsweise das noch übrig gebliebene Skelette dieser ausgegraben. Eiji bittet Haruka und ihre Lektorin herauszufinden, wer der Tote ist, und mit dieser Information den vermeintlichen Mord aufzuklären. Denn das machen Krimiautoren natürlich … sie klären Morde auf. Doch dies ist nicht Eijis einziges Anliegen. Auch das wohlbehütete Geheimnis um die legendäre Tokijiku-Frucht soll geklärt werden. Diese Frucht ist seit Jahrhunderten im Besitz der Shijima-Familie und soll dem, der sie isst, ewiges Leben bescheren. Wo diese Frucht aktuell verwahrt wird, soll Haruka mal eben auch noch herausfinden. Na ja, auf alle Fälle ist die Frucht nicht nur mit magischen Kräften ausgestattet, sondern soll gleichzeitig auch die gesamte Shijima-Familie verflucht haben. Dieser Fluch bewirkt, dass alle 10 Jahre ein Familienmitglied durch mysteriöse Umstände stirbt. Nicht gerade eine Eigenschaft, die die Frucht des ewigen Lebens haben sollte, aber sei es drum.

Insgesamt reißt die Geschichte keine Bäume aus und erfindet das Rad auch nicht neu, trotzdem ist sie spannend genug erzählt, dass einen der Ausgang der Geschichte doch interessiert. Wer auf Kriminalgeschichten und Mitraten steht, wird auf alle Fälle seinen Spaß haben.

 

Film schauen mal anders

2022042701092100 sDer Großteil der Handlung wird euch über Full-Motion-Videosequenzen erzählt, welche gut produziert sind, aber gleichzeitig den trashigen Charm alter FMV-Games à la »Night Trap« mit sich bringen. An vielen Stellen sind die Dialoge massiv überzeichnet, was zum Glück auch sehr gewollt wirkt und zum quirligen Handlungsstrang des Ganzen wie die Faust aufs Auge passt. Wer »428: Shibuya Scramble« gespielt hat, wird diesen Stil kennen: Regisseur Koichiro Ito schrieb bereits hier mit und hatte schon bei »Metal Gear Solid V« seine Finger mit im Spiel.

Das Stärkste an dem Spiel ist allerdings die Kameraarbeit. Diese fängt stilvoll die jeweiligen Stimmungen der Szenen ein und macht den Quasi-Spielfilm mit Überlänge anschaubar. Gerade das Color Grading, was sich in vielen Szenen auf eine ganz bestimmte Farbe konzentriert, gibt vielen Szene eine besondere Atmosphäre. Ebenfalls sorgt der Soundtrack für eine düstere Stimmung, die so ein Mordfall eben mit sich bringt, und passt von vorne bis hinten ins gesamte Spiel rein.

 

Ein Hauch von Gameplay

2022041221501400_s.jpgDoch, wo Lob ist, gibt es auch Kritik. Obwohl »The Centennial Case: A Shijima Story« liebevoll geschauspielert ist und eine spannende Geschichte erzählt, bleibt es leider dabei. Ein Spiel kann man es kaum nennen. Es bietet weniger Gameplay als andere Titel des Genres und selbst in den meisten Visual Novels gibt es für euch mehr zu tun als in »The Centennial Case«.

Während ihr euch die Filmsequenzen anseht, bekommt ihr ab und zu die Möglichkeit auch eine Antwort zu geben. Das ist selten von Relevanz und hat keine Bewandtnis für den Ablauf der Geschichte. In den meisten Fälle spricht Haruka die Sätze nicht einmal aus, sondern denkt sie sich nur – so steht die große Frage im Raum, warum diese Funktion überhaupt eingefügt wurde. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, während der Sequenzen auf bestimmte Sätze einzugehen und sich diese per Tastendruck als Hinweise zu merken. Allerdings könnt ihr euch das auch sparen, da ihr am Ende einer Sequenzreihe sowieso alle Hinweise bereitgestellt bekommt. Dadurch macht es wenig Sinn, überhaupt die Bewegung zum Controller zu vollführen – genießt einfach den kurzen Film! Hier gibt es auf alle Fälle viel verschenktes Potenzial, da es sicherlich spannender gewesen wäre, bestimmte Hinweise zum Lösen des Falls entdeckt zu haben … oder eben nicht. Apropos Lösen des Falls, dies ist einer der wenigen Augenblicke, in dem ihr selbst agieren dürft.

 

Ein Fall wird gelöst

2022042701040800_s.jpgIn der sogenannten Reasoning Phase werden in einem Sechseckraster mehrere Rätsel angezeigt, welche beim Kombinieren mit den gesammelten Hinweisen zu einer Hypothese werden. Dabei werden die jeweiligen Hinweise ebenfalls als Sechsecke angezeigt und müssen mit den passenden Rätseln verbunden werden. Leider verschwendet das Spiel auch hier einiges an Potenzial, da es immer nur eine richtige Möglichkeit gibt, wo ein Hinweis angelegt werden kann. Dabei habt ihr unendlich viele Versuche, und einen falschen Hinweis anzulegen wirkt sich nicht negativ auf den Spielverlauf aus. Im Gegenteil sogar: Das Spiel gibt euch mit Mustern auf den Hexagonen sogar vor, wie welcher Hinweis eingebracht werden soll. Sind Hinweis und Rätsel kombiniert, entsteht eine Hypothese, welche mit einer kurzen grafischen Sequenz dargestellt wird. Das Nervige dabei: Diese können manchmal extrem absurd sein und helfen absolut gar nicht dabei, den Fall zu lösen. Doch das Allerschlimmste ist, dass die Sequenzen der Hypothesen nicht überspringbar sind. Jede noch so alberne Hypothese muss angeschaut werden und so kann ein Aufbau von Hypothesen auch gerne mal mehr als 30 Minuten in Anspruch nehmen. Sind alle wichtigen Hypothesen aufgestellt, kann der Fall endlich gelöst werden.

Dazu geht das Spiel in die Solution Phase über. Diese wird abermals durch Filmsequenzen visualisiert. Hierbei ist es eure Aufgabe, die potenziellen Mörder mit den richtigen Hypothesen zu konfrontieren. Dies ist definitiv der spaßigste Teil, da es doch manchmal sehr knifflig sein kann. Teilweise müsst ihr euren inneren Detektiv Conan kanalisieren, um auf gut durchdachte, aber auch teils absurde Mordvorgänge zu kommen. Habt ihr eine falsche Antwort gewählt, war’s das sofort mit eurer Glaubwürdigkeit und ihr bekommt als Strafe ziemlich witzige Szenen zu sehen, bevor es heißt: Game over. Wenn ihr die falsche Antwort wählt, ist dies allerdings nicht schlimm, da ihr wieder am Anfang der Solution Phase beginnen könnt und eben diesmal hoffentlich die richtige Wahl trefft. Je nachdem, wie ihr euch geschlagen habt, gibt es am Ende eines jeden Kapitels noch eine kleine Auswertung mit einem Punktesystem.

 

The Centennial Case: A Shijima Story: Mein Fazit

grüner DaumenDies ist auch schon alles, was es in »The Centennial Case: A Shijima Story« zu tun gibt. Mit ungefähr 12 Stunden Spielzeit und 6 Kapiteln ist »The Centennial Case« nicht gerade ein kurzes Spiel und bietet wenig Spielraum, es mal eben mit Freunden an einem gemeinsamen Abend durchzuspielen, was eigentlich bei dem Laientheater sehr witzig sein könnte. Wiederrum rechtfertig die Spielzeit aber irgendwie auch den stolzen Preis von 49,99 Euro.

Insgesamt ist das Spiel neben »Her Story« meiner Meinung nach das bisher beste Spiel des Genres, hat aber, was vor allem das Gameplay betrifft, noch einiges an Luft nach oben. Fans von abstrusen Kriminalgeschichten sollten mit »The Centennial Case: A Shijima Story« trotz alldem auf ihre Kosten kommen und auch Fans von Visual Novels sollten mal einen Blick riskieren, da hier durch witzige Schauspieler und grandioser Kameraarbeit eine spannende und liebevoll gemacht Geschichte erzählt wurde.

 

Plus Minus
  • gute Schauspielleistung
  • spannende Geschichte
  • starke Kameraführung
  • kreative Mordfälle
  • kaum vorhandenes Gameplay
  • vorgegaukelte Entscheidungsfreiheit
  • nicht überspringbare Sequenzen

Rezensionsexemplar - Square Enix

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